Die verbotenen Frösche von Hohenfurth (Lesungsabenteuer)

Diese Geschichte entstand aus Ideen des Publikums bei der Lesung im KaffeeSatz Chemnitz am 1. Dezember 2023.


Eine wahre Geschichte über die einfache Natur der menschlichen Dinge und ein Gesetz, das nur allzu gern gebrochen wurde.

„Und so erlassen wir hiermit das strengstens einzuhaltende Gesetz, dass es einem jeden Mann und einer jeden Frau verboten sei, in die Wälder und Auen zu ziehen, nach Fröschen zu suchen und an ihnen zu lecken, in sie zu beißen oder anderweitig von ihrem Zauber zu kosten.“ [Aus den Erlassen in den Archiven der Keilersburg.]

Hohenfurth ist ein kleiner Weiler unweit der Keilersburg im Königreich Aquistea. Es untersteht dem Wappen des Weißen Keilers. Um das einhundertste Jahr des vierten Zeitalters wurde hier ein Gesetz erlassen, dass die Jagd auf Frösche untersagte. Der Grund für dieses Gesetz war dabei keiner, der das Wohl der Tiere im Sinne hatte. Stattdessen wurde es vermutlich nur erlassen, ob kurzzeitig einige Wogen zu glätten. Es muss den rechtsprechenden Personen jener Zeit bewusst gewesen sein, dass sich die Einhaltung dieses Gebots und die damit verbundene Wahrung des Friedens nicht auf Dauer würde kontrollieren und durchsetzen lassen. Doch was war der Auslöser?

Der Krieg wirft stets einen weiten Schatten – und das auch auf jene Gegenden, die fernab des Kampfgeschehens liegen. Man sieht es vor allem in den Dörfern, wo es an jungen Männern fehlt, die das Vieh versorgen und die Felder bestellen können. Dem kleinen Ort Hohenfurth erging es nicht anders. Die zentralen Königreiche hatten sich in einer Allianz gegen den gemeinsamen Feind Massalon gewendet und zahlreiche Männer in den Krieg beordert. Zurück blieben neben den Frauen und Kindern nur einige wenige, zumeist betagte Männer.
Einer dieser Männer war ein einfacher Bauer. Auf seinem kleinen Hof lebte er mit seiner Frau so zufrieden und glücklich, wie es dem einfachen Volk eben möglich war. Doch war er mittlerweile in der zweite Hälfte seines Lebens, und so pflügte er den Acker, wenn überhaupt, nicht mehr mit der Leidenschaft und Gewissenhaftigkeit, die ihm als jungem Mann beschieden gewesen war. Seine Frau, die ihn nach all den gemeinsamen Jahren gut kannte und ihn von Herzen liebte, betrachtete dies mit Sorge. Im Geheimen fürchtete sie, dass es ihrem Mann nach all den Jahren der Feldarbeit die jungen Ziegen, Schafe und Kühe angetan hatten, die in den Ställen und auf den Weiden der Nachbarn gediehen und so voller Leben waren.
Doch die Frau war klug, und sie wusste, dass offene Worte ihren Mann verschrecken konnten. Stattdessen brachte sie ihn unter einem Vorwand zu einer alten, weisen Frau und ersuchte ihren Rat. Sie stellte es klug an, sprach davon, dass sie mit ihrem Mann noch einmal die Jugend erleben wolle, noch einmal in ihm die Kraft wecken, seine Unbändigkeit spüren, noch einmal voller Lust mit ihm den Acker pflügen und danach im duftenden Bett aus Stroh und Nartasien in den blauen Himmel schauen.
Die alte Frau lächelte wissend, und sie wusste einen Rat. Sie schickte die beiden in den Wald und wies sie an, nach einem Frosch zu suchen. Sobald sie ihn fänden, wüssten sie, dass es der richtige sei.
Und die beiden brachen sofort auf, denn sie waren sich sicher, dass dies schnell erledigt war. Sie ahnten nicht, dass sie sechs Tage unterwegs sein, sich im Wald verirren, Dutzende Frösche finden, prüfen und wieder davonhüpfen lassen würden; ein Abenteuer, das sie nur überstanden, weil sie zusammenhielten, einander kannten und vertrauten und genug vom Leben verstanden hatten, um nicht zu verzweifeln und Zuversicht zu behalten.
Dann, sie hatten im Rat der weisen Frau schon einen Trick erkannt, der sie auf eine irrsinnige Suche schicken und damit einander näherbringen sollte, sprang ihnen wohl ein kleiner, unscheinbarer Frosch über den Weg. Der Mann und die Frau sahen einander in die Augen, und sie bedurften keiner Worte, um übereinzukommen, dass dies der Frosch war, nachdem sie so lange gesucht hatten.
Sie nahmen ihn mit nach Hohenfurth, in ihr bescheidenes Heim, setzten ihn in eine Schale – und rätselten, was sie nun mit ihm anfangen sollten. Darüber hatte die weise Frau kein Wort verloren. Sie warteten, ob der Frosch von selbst etwas tat – vergebens. Dann boten sie ihm Wasser und verschiedene Nahrung an – nichts geschah. Sie setzten ihn sich auf die Hände, auf den Scheitel, auf die Brust – ohne Erfolg. Bis, schließlich, weil ihm sonst nichts Besseres mehr einfallen wollte, der Mann auf den schelmischen Gedanken kam, den Frosch abzulecken. Sicher wollte er mit dem Scherz nur seine Frau erheitern, die solche Mühen auf sich genommen hatte, um das Leben in ihm neu zu entfachen. Es zeigte sich, dass dieser Einfall wohl der richtige war.
Er hatte kaum seine Zunge von dem warzigen Tier gelöst, fühlte er seinen Leib von einer seltsamen, unbändigen Kraft erfüllt. Er konnte gar nicht anders, als augenblicklich mit dem Pflügen zu beginnen, und die Augen seiner Frau leuchteten vor Freude. Die ganze Nacht hindurch war er auf dem Acker, wie als sei Kol der Ernter selbst in ihn gefahren; hätte der Frost den Boden verhärtet, es hätte ihn nicht aufgehalten.
Als der Morgen graute, fiel seine Frau endlich in den Schlaf wonniger Erschöpfung. Doch als sie am Nachmittag daraus erwachte, musste sie feststellen, dass ihr Mann noch immer nicht genug hatte. Um sie nicht zu stören, hatte er sich der vielen anderen brachliegenden Felder des Dorfes angenommen und sie mit einer gewissenhaften Gründlichkeit durchpflügt, die über Generationen hinweg ihresgleichen suchen sollte. Wie ein Stier, unaufhaltsam und unermüdlich tat er seine Pflicht, drang tief in die vernachlässigten Böden ein und zog seine Furchen durch stoppeliges und verwildertes Land, bis alle Acker und Böden, die sich ihm so willig dargeboten hatten, durchpflügt waren.
Doch das reichte ihm noch immer nicht. In seinem unbeherrschbaren Drang widmete er sich nun den Feldern, die bereits von anderen bestellt worden waren. Verständlicherweise regte sich Unmut, bald sogar handfester Zorn und es kam zu wütenden Raufereien, bei denen es mehrere Männer und Frauen brauchte, um den einen, der kaum mehr als seinem alten Pflug bewehrten Bauer unter Kontrolle zu bringen. Schnaufend und am ganzen Leib bebend, aber für den Moment gezügelt, brachte man ihn zu seiner Frau, die ihn mit jener Mischung aus Belustigung und Staunen empfing – war sie doch die einzige, die um die Hintergründe seiner Leidenschaft wusste.
Das Feuer ihres Mannes sprang alsbald auch wieder auf sie über, und sie neckte ihn, wie sie es als junge Frau zu tun geliebt hatte. Und mit Genugtuung gewahrte sie das Feuer, das in seinem Blick wieder aufloderte, und den kräftigen Pflug, nach dem er griff, kaum dass er ihn aus der Hand gelegt hatte. Sie bot ihm an, noch einmal den eigenen Acker zu bepflügen; noch einmal voller Leidenschaft, noch einmal voller Liebe – und wie konnte er widerstehen?

Der Mann, er starb in dieser Nacht. Nicht in dem wilden Rausch, den er den ganzen Tag über gewesen war, sondern so, wie es ein guter Bauer tat: Er beendete sein Werk, dass es seiner Frau eine Wonne war, und gemeinsam lagen sie in einem Bett aus aufgewühlter Erde und Gräsern, über sich das Gestirn der Ewigen. Die Frau spürte, wie sein Herzschlag sich beruhigte, während ihrer noch vom Glück getrieben war, und als sie verstand, dass dies ein Abschied sein würde, nahm sie seine Hand, drückte sie fest und mit seinem letzten Atemzug tauschten sie das Versprechen aus, sich alsbald im Ewigen Reich wiederzusehen, wo sie Kols Äcker auf alle Ewigkeit pflügen würden.

Die Geschichte endet jedoch nicht in jener Nacht. Sie endet ein paar Monde später, als Hohenfurth die reiche Ernte einfuhr, die aus der Saat des Bauern hervorgegangen war. Eine Ernte, über die sich wohl nicht jeder Mann freute, und so erreichte die Kunde vom Geschehen Neros den Zweiten, den damaligen Herren dieser Lande. Er ließ es sich nicht nehmen, mit der Witwe des Bauern selbst zu sprechen, und kurz darauf gab er mit einem Schmunzeln den Befehl, das Gesetz zu erlassen, dass an Fröschen nicht zu lecken sei.

Er sollte weder der erste noch der letzte sein, der sich nicht daran hielt. Und wer sollte es ihm verdenken? Aquistea ist ein fruchtbares Land. Diese Früchte nicht zu ernten, kann und konnte nicht im Sinne der Ewigen sein.